Meinung

Terror in Moskau und die Geschichte vom Islamischen Staat

Die Vehemenz und Geschlossenheit, mit der deutsche Medien die Verantwortung für den Terroranschlag in Moskau beim Islamischen Staat sehen, weckt Skepsis. Es wirkt mehr wie ein konzertiertes Ablenkungsmanöver denn ein Bemühen um Aufklärung. Die Ukraine steht natürlich im Verdacht.
Terror in Moskau und die Geschichte vom Islamischen StaatQuelle: Sputnik © Grigory Sysoev

Von Gert Ewen Ungar 

Was den Terroranschlag auf die Moskauer Veranstaltungshalle Crocus City Hall angeht, hat sich der Westen bereits festgelegt: Der IS hat am 22. März den Terror nach Moskau getragen. Für die inzwischen 139 Todesopfer, die fast 200 Verletzten und die umfassende Zerstörung trägt der islamistische Terrorismus die Verantwortung. 

Das ist erstaunlich, denn westliche Ermittlungsbehörden sind mit der Aufklärung gar nicht beauftragt und bisher auch nicht nennenswert involviert. Die Informationen, die westlichen Medien zur Verfügung stehen, stammen im Wesentlichen aus Russland. Einzige Ausnahme ist ein Bekennerschreiben, das auf dem IS zugeordneten Telegram-Kanälen veröffentlicht wurde. Nun kann es natürlich sein, dass der IS seine Finger im Spiel hat – man sollte es zumindest nicht ausschließen. Man sollte sich aber zum jetzigen Zeitpunkt darauf auch nicht festlegen. Wer das tut, löst Skepsis aus. 

Merkwürdig wirkt es daher, wenn der Westen unisono verkündet, die Ukraine könne nicht für den Anschlag verantwortlich sein. Das sei russische Propaganda. Bei den Nachweisen, die in Richtung Islamischer Staat deuten sollen, handelt es sich bisher allerdings um wenig mehr als Mutmaßungen. Bewiesen ist bisher gar nichts. Die Untersuchungen laufen noch. Warum also verbreitet der westliche Mainstream, die Ukraine sei unschuldig? Warum dieser Freispruch, noch bevor konkrete Ergebnisse vorliegen? Das schürt das Misstrauen eher, als dass es die Zweifel beseitigt. 

Sicher, der IS verübt Terrorakte. Die Ukraine hat aber ebenfalls bereits mehrere tödliche Terroranschläge in Russland durchgeführt. Noch viel mehr wurden verhindert. Es vergeht kaum ein Tag, an dem russische Sicherheitsbehörden nicht über Festnahmen im Zusammenhang mit Anschlagsplanungen berichten. Nicht alle können verhindert werden. Die Tochter des Philosophen Alexander Dugin kam bei einem Terroranschlag ums Leben. Die Urheberschaft wurde der Ukraine nachgewiesen. Der Journalist und Kriegsberichterstatter Wladlen Tatarski fiel ebenfalls einem ukrainischen Bombenanschlag zum Opfer. Terror gehört zu den Mitteln, die von der Ukraine eingesetzt werden. Es gibt daher keinen Grund, die Ukraine aus dem Kreis der Verdächtigen auszuschließen. Natürlich stehen die politischen und militärischen Entscheider in Kiew im Verdacht, für die Anschläge die Verantwortung zu tragen.

Die unmittelbare Parteinahme des Westens für die Ukraine macht das Land aus russischer Sicht sogar noch verdächtiger, und den Westen gleich noch mit. Dass es eine Kooperation zwischen den Staaten des Westens und der Ukraine gibt, die sich gegen Russland richtet, ist wahrlich kein Geheimnis. Aus diesem Grund ist die Art, wie im Westen über den Terroranschlag diskutiert wird, mehr als nur ein bisschen seltsam. Mehr als ein bisschen seltsam ist auch, dass sich an jene, die in den sozialen Netzwerken Zweifel an der Urheberschaft des IS äußern, unmittelbar ein Heer von anonymen Profilen anheftet, die mit drastischem Vokabular ihre Meinung über derartiges gedankliches Dissidententum kundtun. "Es war der IS, du Depp", in tausendfacher Varianz vorgetragen, trägt aber ebenfalls nicht dazu bei, die Skepsis zu entkräften, sondern verstärkt sie eher.

Seltsam wirkt auch, mit welcher Geschwindigkeit man sein Urteil gefällt hat. Deutsche Medien überschlugen sich schon wenige Stunden nach dem Anschlag auf die Crocus City Hall mit sogenannten Faktenchecks und Hintergrund-Berichten, mit denen die deutschen Leser und Zuschauer davon überzeugt werden sollen, dass es sich bei dem Terroranschlag um eine islamistisch motivierte Tat handelt. Dabei gibt es noch gar nicht allzu viele echte Fakten zu checken, und viel Hintergrund zu beleuchten gibt es auch noch nicht. Die festgenommenen Tatverdächtigen stammen aus Tadschikistan. Das Land ist muslimisch geprägt und es gibt dort auch IS-Aktivitäten. Das ist richtig. Sie fuhren aber nach der Tat in Richtung Ukraine, zudem rekrutiert die Ukraine auch in Tadschikistan Söldner. Letzteres fällt bei der Faktencheckerei unter den Tisch. 

In der Manier der Besserwisserei üben sich übrigens die gleichen Medien, die anderthalb Jahre nach dem Anschlag auf Nord Stream bezüglich der Täterschaft noch immer im Dunkeln tappen und von einem großen Rätsel sprechen. Dabei müssen sie sich in Bezug auf Nord Stream nicht einmal auf ausländische Medienberichte stützen, sondern könnten mit den einheimischen Ermittlungsbehörden direkt in Kontakt treten und da zumindest ein bisschen Dampf machen. Indem sie beispielsweise über die dürftige personelle Ausstattung berichten. Der Aufklärungswille zu Nord Stream ist aber nicht nur in der deutschen Politik wenig ausgeprägt, sondern auch im deutschen Journalismus. 

Es liegt daher der Verdacht nahe, dass es auch im Zusammenhang mit dem Terroranschlag in Moskau nicht um Aufklärung mit den Mitteln des Journalismus, sondern um Verschleierung mit den Mitteln der Propaganda geht. Man wirft mit viel Desinformation um sich, arbeitet mit Auslassungen und Unterstellungen, zieht Verbindungen zwischen Unzusammenhängendem, zwängt alles in ein vorhandenes Narrativ und wiederholt es so lange, bis der Eindruck entsteht, es handele sich um gesichertes Wissen. 

Nach einiger Zeit lässt man das Thema fallen, denn es hat seinen Zweck erfüllt. Der Spin wurde verankert. Wer etwas anderes behauptet, betreibt das Geschäft des Kremls, wird es dann heißen. Das war bei Butscha so, bei Nord Stream, und wiederholt sich jetzt. Es ist die Arbeitsweise der westlichen und insbesondere der deutschen Propaganda. 

Die Methode funktioniert und man kann sich die so verankerten vermeintlichen Gewissheiten zunutze machen. So behauptet beispielsweise die Tagesschau, die festgenommenen Verdächtigen seien gefoltert worden. Nun ist die Gräuelpropaganda über Russland fester Bestandteil deutscher Berichterstattung, wie man schnell an sich selbst überprüfen kann. Wer würde bezweifeln, dass in Russland gefoltert wird? Russland ist schließlich Russland, oder?

Folter ist in Russland allerdings schon durch die Verfassung verboten, und die Strafen dafür wurden nach einem Vorfall in einem russischen Gefängnis von Präsident Putin im Jahr 2022 drastisch erhöht. Wer einen derart schwerwiegenden Verdacht ausspricht, sollte dafür dann mehr Beweise vorlegen können als einen Verweis auf "Videoaufnahmen im Netz", wie das die Tagesschau tut. Das ist unlauter und hat mit Journalismus nichts zu tun. Es ist der Einsatz von Gräuelpropaganda, die zu einer Vorverurteilung führen soll. Deutsche Medien greifen gern auf dieses Mittel zurück, was viel über deren mangelnden Charakter und ihre dürftige journalistische Qualität aussagt. 

Ob und wie die festgenommenen Männer aus Tadschikistan mit dem IS, mit der Ukraine oder mit beiden in Verbindung gebracht werden können, werden die Untersuchungen zeigen. Und zwar die russischen Untersuchungen und nicht die Kaffeesatzleserei der deutschen Journaille.

Eines ist aber schon jetzt absehbar: Sollten die offiziellen Ergebnisse nicht zum Narrativ passen, wird man das deutsche Publikum nur sehr zurückhaltend darüber informieren und eine kräftige Portion Skepsis in die Information einstreuen. Wichtig ist dem deutschen Mainstream nämlich längst nicht mehr, einen Beitrag zur Aufklärung zu leisten. Wichtig ist, die politisch richtige Message unter die Leute zu bekommen. Und die lautet in dem Fall, der IS ist für den Terroranschlag in Moskau verantwortlich und nicht die Ukraine. Was wirklich war, was tatsächlich passiert und wie Ereignisse zusammenhängen, interessiert den deutschen Journalismus schon längst nicht mehr.  

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