BRD 2020 wie DDR 1989? Gedanken zum Tag der Deutschen Einheit
Der sächsische Landtag lud sich zu seiner Feierstunde anlässlich des Tages der Deutschen Einheit einen Gast ein, den nicht alle sehen und vor allem hören wollten. Arnold Vaatz, stellvertretender Vorsitzender der CDU-Bundestagsfraktion und früherer DDR-Bürgerrechtler, sprach aber dennoch zu denen, die anwesend waren. Und das waren nicht nur Abgeordnete des sächsischen Landtags, sondern auch Parteiprominenz aus dem politischen Berlin. Auch Ministerpräsident Michael Kretschmer war erschienen, obwohl er "heute eigentlich in Potsdam sein" wollte. Doch "wir müssen es aushalten, dass es verschiedene Positionen gibt", so Kretschmer gegenüber der Bild.
Kretschmer bezog sich damit auf die Diskussionen, die es im Vorfeld der Einladung um die Personalie gab. Denn Vaatz gilt bei einigen als "umstritten". So waren es dann auch die Abgeordneten der Grünen, der Linken und der SPD, die der Veranstaltung bewusst fernblieben – und damit etwas verpassten. Neben einem persönlichen Blick auf die Wendezeit widmete der frühere Bürgerrechtler einen Großteil seiner Rede dem (Neu-)Entstehen des Freistaates Sachsen, an dem er aktiv mitgewirkt habe. Vaatz sprach ansonsten darüber, dass
(...) sich damals kaum jemand hätte vorstellen können, in welcher Geschwindigkeit sich dann tatsächlich unsere Lebensverhältnisse verbesserten, die umgekippten Flüsse sauber, die Braunkohle-Mondlandschaften zu attraktiven Seen wurden und unsere Infrastruktur gesundete und das Ende der Mangelwirtschaft eintrat und die Freiheit uns selber verwandelte.
So seien "die blühenden Landschaften, von denen Helmut Kohl, und das blühende Sachsen, von dem Kurt Biedenkopf sprach, weit über das vorstellbare Maß hinaus Wirklichkeit geworden", so Vaatz weiter. Doch es waren weniger diese Äußerungen des CDU-Politikers, die auch im Nachgang für Kritik sorgten. Vielmehr waren es die Sätze, die er am Ende seiner etwa 30-minütigen Rede sprach. Denn Vaatz führte aus:
Es muss möglich sein, über die Energiepolitik der Bundesregierung zu streiten. Es muss möglich sein, für die Nutzung aller Energiearten, auch der Kernenergie, einzutreten. Es muss möglich sein, die Wirklichkeitstauglichkeit unseres Risikobewusstseins zu prüfen. Es muss möglich sein, die Gefahren unserer Verschuldungspolitik abzuwägen. Es muss möglich sein, die Wirksamkeit unserer Entwicklungspolitik zu hinterfragen. Es muss möglich sein, unnütze Bürokratie beim Namen zu nennen und auch zu beseitigen. Es muss möglich sein, eine saubere Trennung von Asylpolitik einerseits und Einwanderungspolitik andererseits einzufordern. Und alles das, meine Damen und Herren, ohne an den Pranger gestellt zu werden und ohne an den Pranger zu stellen.
Damit spielte der frühere Bürgerrechtler auf eine von vielen Menschen – insbesondere im Osten der Republik – empfundene Einseitigkeit des politisch-medialen Mainstreams bei gleichzeitiger Diffamierung und Ausgrenzung im Falle "nonkonformen" Verhaltens an. Insbesondere zog er hier eine Parallele zu den Verhältnissen in der DDR:
Wenn in Deutschland Allensbach zufolge heute fast 80 Prozent der Menschen sagen, man müsste sich beim Sprechen über manche Themen wieder vorsehen, dann frage ich mich allerdings: Ist die Freiheit von 1990 wirklich heute noch Lebenswirklichkeit? Wenn ich von Journalisten gefragt werde, wie ich denn mit Beifall von der falschen Seite umginge. Wenn eine Aussage statt nach ihrem Wahrheitsgehalt danach beurteilt wird, wer das auch gesagt hat. Wenn jemand seinen Job verliert, weil er mit der falschen Person an einem Tisch gesehen worden ist. Dann habe ich daran Zweifel, dass die Freiheit von 1990 heute noch existiert.
Vaatz äußerte sich im Besonderen auch noch einmal zur Klimapolitik. Wenn in Klimafragen mit der "Mehrheitsmeinung von Wissenschaftlern" argumentiert wird, dann denke er an "Kopernikus und Galilei, die mutterseelenallein ihre richtige Meinung vertreten haben, oder an die Denkschrift '100 Autoren gegen Einstein' vom Jahr 1931". Wissenschaftsgeschichte sei keine Demokratie, sondern lese sich geradezu als das "Protokoll der Korrektur kollektiver Irrtümer".
Er sprach sich zudem dafür aus, "Hass und Hetze zu ächten", und kritisierte, dass man heute "ohne die geringsten Konsequenzen Menschen bis ins Mark kränken" dürfe, wenn sie "beispielsweise alte, weiße Männer" seien. Dazu zähle auch der "Schaum vorm Mund beim Reden und Schreiben über missliebige, aber doch immerhin demokratisch gewählte Politiker wie Johnson, Trump, Orbán oder Netanjahu".
Dass SPD, Linke und Grüne zu der Rede nicht erschienen waren, hatte Vaatz im Vorfeld in einem Zeitungsinterview als "politische Dummheit" bezeichnet. Der Politikwissenschaftler an der Technischen Universität Dresden Prof. Dr. Hans Vorländer äußerte sich diesbezüglich gegenüber dem MDR so:
Das war sozusagen ein Begleiteffekt der Nominierung von Vaatz als Redner zum Tag der Deutschen Einheit. Denn im Vorfeld war klar, dass er polarisiert. Er integriert nicht, er polarisiert. Und am Tag der Deutschen Einheit hätte man erwarten können, dass ein Redner antritt, der die unterschiedlichen Perspektiven deutlich markiert, sie auch deutlich zur Sprache bringt. Aber eben die Ausgrenzung und die Polarisierung etwas zurückstellt. Und wenn man Herrn Vaatz einlädt, dann weiß man, was man bekommt. Und im Vorfeld war er eben doch sehr stark auch selbst polarisierend tätig.
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